Im März, ja, da kann ich das glauben. So müde und tot erschien die Erde im Winter. Nun aber schieben sich die ersten Pflanzenstängel ins Licht. Und mir scheint plausibel, dass auch das Totgesagte, Steinerne eine Stimme hat.
Der steinerne Glockenturm unserer Kirche steht fest und stabil, wenn die tonnenschweren Glocken ganz oben zu schwingen beginnen. Sie rufen zum Gottesdienst. Mit weit vernehmbarer Stimme laden sie zum innezuhalten und für ein kurzes Gebet ein. Am Morgen, am Mittag, am Abend.
An diesem Morgen sieht der Glockenturm etwas anders aus als sonst. In der Nacht, während die Glocken schwiegen, ist jemand mit einer Farbdose gekommen. „Gott
ist tot. Amen“, hat er mit weißer Farbe in großen Buchstaben auf die Steine gesprüht. Es wirkt fast so, als hätte ein Sprayer den Steinen Worte, die sie herausschreien, in den Mund gelegt. Und die Steine schreien sie dem, der vorbeigeht entgegen. Hier macht einer seine Meinung mit weißer Farbe öffentlich!
„Gott ist tot. Amen“. Warum musste das gesagt werden, was schwingt wohl mit, in diesem stummen und doch so deutlichen Schrei? Ist der, der ihn auf die Steine gesprüht hat, verzweifelt? Vielleicht hat er etwas durchgemacht, was er nicht mit Gott in Verbindung bringen kann. Warum lässt Gott das zu? Ist er zornig über etwas, was er mit der Kirche erlebt hat? Ist er wütend auf jene, die sie repräsentieren? Oder will er einfach nur provozieren? Und warum hat er ein „Amen“ hinter sein Statement gesetzt, den typischen Schluss für ein christliches Gebet? Es klingt fast so, als wende er sich an genau die Adresse, die er soeben als nicht existent erklärt hat. Oft steht tatsächlich Verletzung, Wut oder Verzweiflung hinter solch einem Satz. Und wer weiß: Vielleicht gibt es noch einen Funken Hoffnung, dass ich eine Antwort bekomme. Dass mein Gegenüber das Schweigen bricht und Wege findet, die eine Begegnung möglich machen?
Im März, ja, da kann ich es glauben. Dass die Steine lebendig werden und ihre Stimmen vernehmbar sind. Denn die Worte erzählen von ihm, der alles Tote lebendig macht. Die Farbe Weiß aber, die der Sprayer verwendet hat, macht Hoffnung, denn sie ist die Farbe der Auferstehung. Amen.
Zu Beginn des Monats März grüßt Sie herzlich
Diakon Olaf Eggert
Fliedners Lafim-Diakonie