2021/08

Kann das denn sein? Dass uns das passiert – das ist wohl klar. Wie oft hören wir weg oder hören nicht, weil wir nicht hören wollen: vor allem kritische Dinge, vor allem was schwierig ist oder konflikthaft. Und auch wegschauen praktizieren wir täglich, weil wir Leid nicht sehen wollen, schlechte Nachrichten nicht wahrhaben wollen oder weil etwas einfach nicht in unser Bild vom Leben passt.
Aber Gottes Ohr verschlossen, seine Augen blind – kann das denn sein?
Der Beter, der die Worte des Monatsspruches formuliert, der hat das offensichtlich befürch­tet. Er hat sie wahrscheinlich verzweifelt ausgerufen in seiner besonderen Situation. Er schreit Gott an: „neige Dein Ohr, öffne deine Augen – jetzt wach doch endlich auf, sei doch endlich da!“ Siehst Du denn nicht wie unsere Welt von den Menschen kaputt gemacht wird, wie es immer heißer wird durch den Klimawandel, Arten verschwinden und unsere Lebensgrundlage bedroht ist? Hörst Du denn nicht das Schreien oder das leise Jammern derer, die in dieser Pandemie erkrankt sind und siehst Du nicht die Tränen der Trauer auf den Gesichtern derer, die einen Menschen durch Corona verloren haben?
Kann das sein, Gott, dass Du nicht hörst und nicht siehst?
Nicht nur damals als der König Hiskia Gott angesichts der Übermacht der Assyrer anrief, ist das das Gefühl von uns Menschen gewesen. Bis heute spüren wir diese Ohnmacht und Gottesferne in unserem Leben. Hiskias verzweifeltes Rufen blieb nicht unerhört. Der Prophet Jesaja ließ ihm die Trostworte Gottes ausrichten, zumindest ein paar Hoffnungs­worte, die dem Rest Israels nach der Katastrophe Mut machte von vorne zu beginnen. Vermutlich aber, konnte Hiskia die Hoffnung erst sehen und den Trost hören, nachdem er sich mit seiner Verzweiflung an Gott gewandt hatte. Nachdem er selbst also seine Ohren und seine Augen für die Botschaft der Hoffnung geöffnet hatte und so ein Weg aus der Verzweiflung sichtbar wurde.
Es kann also auch sein, dass wir unsere eigene Taubheit und Blindheit Gott unterstellen, statt uns an ihn zu wenden. Also vielleicht sollten wir die Frage in diesem Monat mal so herum stellen, kann es sein, dass wir nicht hören und sehen (wollen), was Gott uns an Trost und Hoffnung schenken will?

Gott, öffne meine Augen und Ohren,
damit ich höre und sehe, was so gar nicht in mein eigenes Bild vom Sein passt, mein eigenes Bild von mir selbst, mein eigenes Bild von der Welt.
Schärfe meine Wahrnehmung vor allem für die auf die niemand hört und an denen auch ich meistens blicklos vorübergehe. Lass mich wahrnehmen, dass Du mir da begegnest, statt im Klagen über Deine Ferne stehen zu bleiben.
Und, sende auch mir Boten, die Hoffnung machen und Trost spenden und vor allem, lass mich erkennen, wenn solche Boten kommen. Amen.

 

Herzliche Grüße
Ihr Pfarrer Matthias Welsch