2025/01

Die Bibel ist eine Zumutung. Dieser Satz aus dem Lukasevangelium ist wohl die Größte. Gutes Tun, denen die mich hassen, segnen, die mich verfluchen. Was für eine Herausforderung und will ich das überhaupt, will das überhaupt irgendjemand? Ist das nicht sogar brandgefährlich? Man beziehe das nur einmal auf Terroristen. „Geht’s noch, Jesus?“
Oder, andere Situation: Die AFD geht auf Stimmenfang mit Hassbotschaften und Ausgrenzung, macht den sogenannten „Wutbürger“ zu einer politischen Größe. Politik also, die mit Hass und Ausgrenzung daherkommt, statt Lösungen zu suchen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! „In welcher Welt lebst Du eigentlich, Jesus?“
Und wenn ich das zu jüdischen Mitbürger:innen oder Geflüchteten aus der Ukraine sagen würde. Ich könnte verstehen, wenn Sie mich dafür mindestens sofort und umgehend rausschmeißen würden, auf jeden Fall nicht mehr mit mir reden. „Also ganz ehrlich, Jesus, wie soll das gehen?“
Den Realitätscheck hat dieser Bibelsatz bei mir erst einmal nicht bestanden.
Was mache ich jetzt also damit? Jedem anderen Menschen, würde ich den Satz um die Ohren hauen und die freundlichste Antwort wäre noch, den anderen als hoffnungslosen Träumer und Utopisten zu bezeichnen.
Aber, jetzt war das ausgerechnet ein Satz, der uns sehr einhellig als ein Teil der Kernbotschaft Jesu überliefert wurde. Es ist also eine christliche Grundhaltung, die hier gefordert wird.
Heute würde man vielleicht sagen, dass ist radikal disruptiv. Denn es stellt unsere normalen Reaktionen auf Feindschaft, Hassrede und Verfluchung sehr grundsätzlich in Frage.
Irgendwie wissen wir ja – zumindest theoretisch – dass Feindschaft mit Feindschaft zu beantworten und Hass mit Hass zu beantworten noch nie dazu geführt haben, dass irgendetwas im menschlichen Miteinander besser geworden wäre. Es funktioniert nicht, sondern verlängert nur die Spirale der Gewalt. Jesu radikale Botschaft unterbricht die Spirale. Wer sie wirklich hört und nicht gleich abtut, kommt ins Nachdenken. Hassrede mit Segensrede neutralisieren, Verfluchung mit Gebet. Wo das gelänge, wäre Frieden – der Hassende und Verfluchende zumindest überrascht, ihm würde die Basis seiner Rede entzogen, nämlich das Hassobjekt und das Gegenüber für den Fluch.
Im Kleinen, im menschlichen Miteinander am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft, könnte das vielleicht sogar funktionieren – wenn wir es wirklich ernst nehmen und ernst meinen zumindest.
Schwieriger, nein undenkbar, ist es in der großen Politik – zwischen Israel und der Hamas oder der Hisbolla, genauso undenkbar wie zwischen Russland und der Ukraine.
Das kriegen wir Menschen nicht hin, das ist unwahrscheinlich. Da braucht es dann doch das göttliche Wunder. Aber vielleicht wäre es ein Anfang, daran zu glauben, dass solche Wunder möglich sind, nicht aus unserer Kraft wie im Kleinen, aber aus Gottes Kraft.
Jesus, jedenfalls meint es trotz unserer Ungläubigkeit und Rückfragen ganz ernst mit seinen Sätzen. Amen

Ich grüße Sie herzlich zum neuen Jahr
Ihr
Pfarrer Matthias Welsch